Worst-Case-Szenarien für Hitze und Mortalität
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Das Risiko der hitzebedingten Sterblichkeit ist in den letzten 20 Jahren rasch angestiegen und wird weiter zunehmen. Nun werden Worst-Case-Szenarien für die heissest-plausiblen Hitzewellen entwickelt, um zu verstehen, was dies für die hitzebedingte Sterblichkeit bedeuten würde.
Text: Samuel Lüthi, Erich Fischer
Die Hitzewelle von 2003 war eines der tödlichsten Extremereignisse der letzten Jahrzehnte. Sie führte in Europa innerhalb weniger Wochen zu einer Übersterblichkeit von bis zu 70 000 Todesopfern. Ähnliche Zahlen wurden auch im Sommer 2022 erreicht: Dort geht man von mehr als 60 000 Toten aus. Während der Sommer 2003 die Gesellschaft unvorbereitet traf und sogar Expertinnen und Experten überraschte, erstaunten die Temperaturen im Sommer 2022 die Klimaforschung nicht mehr.
Eine kürzlich erschienene Studie untersuchte die zunehmende Wahrscheinlichkeit extremer Hitzesommer und die hitzebedingte Sterblichkeit.1 Diese Studie resultierte aus einer disziplinenübergreifenden Zusammenarbeit mit der Epidemiologie-Gruppe um Ana Vicedo-Cabrera am Oeschger-Zentrum der Universität Bern. Dazu wurde die hitzebedingte Sterblichkeit in 748 Städten weltweit für eine Stichprobe von 1680 möglichen Modelljahren in vier unterschiedlichen Klimaperioden berechnet. Die Hitzemortalität eines Hitzesommers, wie er im Jahr 2000 nur einmal in 100 Jahren zu erwarten war, muss heute an den meisten Orten bereits alle 10 bis 20 Jahre erwartet werden. Das heisst, was früher ein seltenes Extremereignis war, tritt bereits regelmässig auf und wird in einem zukünftigen Klima zur Norm. Dies unter der Annahme, dass keine starken Anpassungsmassnahmen ergriffen werden.
Die Quantifizierung potenzieller, künftiger Extremwerte basiert auf sogenannten Large Ensembles von Klimamodellen. In Large Ensembles wird das Klima mittels desselben Klimamodells viele Male simuliert, um die chaotische, interne Variabilität des Klimasystems zu erfassen. Dies ist für die Quantifizierung von Klimarisiken von entscheidender Bedeutung. Die Auswertung dieser Variabilität erlaubt eine zuverlässigere Quantifizierung von seltenen Hitzesommern.
Ein Folgeprojekt untersucht nun die Auswirkungen der Hitze auf die Sterblichkeit in möglichen Worst-Case-Szenarien von Hitzesommern der nächsten 10–20 Jahre. Das Projekt basiert auf der bewährten Zusammenarbeit und verwendet die neusten Methoden zur Quantifizierung von Worst-Case-Szenarien der Gruppe für Klimaphysik der ETH Zürich. Konkret werden sehr seltene Klimaextreme mittels einer neuen sogenannten Ensemble Boosting-Methode simuliert. Dabei wird der Zustand des Klimamodells vor dem Beginn einer extremen Hitzewelle leicht verändert und dieselbe Hitzewelle dann tausendfach simuliert. Das Resultat sind physikalisch konsistente Ereignisse, die noch extremer sein können als die ursprüngliche Hitzewelle. Anschliessend wird mit epidemiologischen Modellen die potenzielle hitzebedingte Sterblichkeit solcher Worst-Case-Hitzewellen quantifiziert. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass mögliche Hitzewellen und die damit verbundenen Auswirkungen weit über alles bisher Dagewesene hinausgehen.
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Was ist das C2SM?
Das Zentrum für Klimasystemmodellierung (Center for Climate Systems Modeling, C2SM) will das Verständnis des Klimasystems verbessern und die Vorhersagekraft von Klima- und Wettermodellen stärken. Es ist eine gemeinsame Initiative der ETH Zürich, von MeteoSchweiz, der Empa, der WSL und der Eawag.
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[1] Lüthi, S., Fairless, C., Fischer, E. M., Scovronick, N., Armstrong, B., Coelho, M. D. S. Z. S., ... & Vicedo-Cabrera, A. M. (2023). Rapid increase in the risk of heat-related mortality. Nature communications, 14(1), 4894.