Den Klimawandel greifbar machen
ProClim Flash 79
Gerade das Thema Gesundheit sensibilisiert und aktiviert die Menschen für den Klimaschutz. Wie das geht, zeigte das Citizen-Science-Projekt «3-2-1-heiss» im Kanton Aargau.
Text:
«Lieber ein Haus im Grünen als einen Grünen im Haus». Dieser Spruch prangt an einer Fassade in der Nähe Berns. Man mag davon halten, was man will, aber der Satz weist auf ein zentrales Problem hin: Umweltschutz kann nerven. Gewisse Bevölkerungsgruppen reagieren gereizt auf das Thema.1 Nun kann ein kluges Framing dabei helfen, klimaferne Zielgruppen trotzdem zu erreichen. Etwa das Themenfeld der Gesundheit birgt in der Klimakommunikation ein grosses Potential.2 Ärztinnen und Ärzte wirken besonders glaubwürdig.3 Dies machen sich etwa die Stiftung «Gesunde Erde – Gesunde Menschen» oder die Initiative «HealthforFuture» zunutze, indem dort Gesundheitsfachpersonen zum Klimawandel kommunizieren. Über das körperliche Wohlbefinden können insbesondere Personen erreicht werden, die bisher kaum besorgt über den Klimawandel waren.4
Erderhitzung lässt viele kalt
Warum eignet sich gerade das Thema Gesundheit so gut, um über die Klimakrise zu berichten? Um dies zu verstehen, müssen wir zuerst einen Schritt zurückgehen. Die Klimakommunikation hat zum Ziel, die Gesellschaft zum Handeln zu bewegen. Gerade bei einem so vielschichtigen Problem wie dem Klimawandel ist dies besonders schwierig.
Die gute Nachricht zuerst: Wir haben schon einiges erreicht. Klimaschutz und Klimaanpassung sind in der Mitte der Bevölkerung angekommen. Umweltschutz und Klimawandel zählen zu den grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer.5 Die schlechte Nachricht: Das Bewusstsein allein führt noch nicht zu nachhaltigem Handeln. Für viele Personen ist der Klimawandel nur ein Problem unter vielen. Steigende Gesundheitskosten, Kriminalität, Stress bei der Arbeit, die defekte Waschmaschine – unmittelbare Sorgen beschäftigen viele Leute mehr als die für manche schwer greifbare Klimakrise. Dabei leugnen nur noch die wenigsten den menschengemachten Klimawandel und die bereits jetzt spürbaren Auswirkungen. Doch gerade die Zunahme an Katastrophenmeldungen erschweren eine Aktivierung. Die Dauerkrisen können zu Abstumpfung führen.6 Wir gewöhnen uns an Nachrichten zu Waldbränden, Überschwemmungen und Temperaturrekorden. Unsere Betroffenheit nimmt ab. Die Erderhitzung lässt viele kalt.
Gesundheit löst Betroffenheit aus
Was ist also zu tun? Die Klimakommunikation hält mithilfe der Sozialwissenschaften und der Psychologie Antworten bereit. Zwei Aspekte sind besonders wichtig: Nähe und die richtigen Emotionen lösen bei den Empfängerinnen und Empfängern Betroffenheit aus. Zudem kann eine lösungsorientierte Kommunikation zum Handeln führen. Wie das konkret aussieht, zeigte das Projekt «3-2-1-heiss»: Es erfüllte diese Anforderungen und machte sich den Gesundheitsaspekt zunutze.
Das Citizen-Science-Projekt wurde von 2021 bis 2023 von der Kommunikationsagentur catta in Zusammenarbeit mit dem Kanton Aargau durchgeführt und mit dem K3-Preis für Klimakommunikation ausgezeichnet (siehe Box). Einwohnerinnen und Einwohner suchten dabei mit Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsmessgeräten die heissesten und kühlsten Plätze in ihren Gemeinden. Die gesammelten Daten wurden auf Online-Karten veröffentlicht, aus- gewertet und mit den Teilnehmenden diskutiert. Dabei wurde die Sicht der Bevölkerung klar, welche Orte mit der Pflanzung von Bäumen, Fassadenbegrünungen, mit der Entsiegelung von Flächen oder mit Wasserelementen in angenehme Plätze umgewandelt werden können. Um ein positives Zeichen zu setzen, erhielt zusätzlich der angenehmste Platz jeder Gemeinde eine Auszeichnung. Das Projekt hilft nicht nur den Gemeinden bei der künftigen Siedlungsplanung, sondern aktiviert die Bevölkerung für die Klimaanpassung. Messen die Teilnehmenden vor einem Schulhaus Temperaturen von 41,9 °C, werden die Auswirkungen des Klimawandels spürbar. Das wiederum steigert auch die Akzeptanz der Anpassungsmassnahmen. Hitze hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen und macht den Klimawandel greifbar.
Projekte wie «3-2-1-heiss» wirken aber darüber hinaus: Wie im Artikel «Zwischen Angst und Aktivismus» (S. 10) geschildert, können solche kollektiven Aktionen helfen, negative Gefühle zu überwinden. Die Menschen spüren, endlich selbst etwas für die Klimaanpassung tun zu können. Gruppenaktionen können Hoffnung geben: Es tut gut, sich mit Gleichgesinnten über Sorgen und Lösungen bezüglich der Klimakrise auszutauschen. Natürlich sind auch einem solchen Projekt Grenzen gesetzt. Klimaangepasste Plätze ergeben noch keine klimaneutralen Gemeinden – aber sie helfen sicherlich auf dem Weg dahin.
_
K3-Preis für Klimakommunikation
Der K3-Preis wird von sieben Organisationen aus Wissenschaft und Klimakommunikation in Deutschland, Österreich und der Schweiz verliehen. Zu ihnen zählt ProClim. Er zeichnet Projekte und Initiativen aus, die mit Klimakommunikation Menschen für mehr Klimaschutz motivieren und aktivieren. Das Projekt «3-2-1-heiss» erhielt 2023 den zweiten Preis in der Kategorie Bürgerinnen und Bürger.
_
Severin Marty ist Projektleiter bei ProClim.
_
Referenzen
[1] Gagné, J., & Krause, L. K. (2021). Einend oder spaltend? Klimaschutz und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland. More in Common e. V.
[2] Dasandi, N., Graham, H., Hudson, D., Jankin, S., van Heerde-Hudson, J., & Watts, N. (2022). Positive, global, and health or environment framing bolsters public support for climate policies. Communications Earth & Environment, 3(1), 239.
[3] Maibach, E., Frumkin, H., & Ahdoot, S. (2021). Health professionals and the climate crisis: trusted voices, essential roles. World Medical & Health Policy, 13(1), 137-145.
[4] Lehrer, L., Hellmann, L., Temme, H., Otten, L., Hübenthal, J., Geiger, M., ... & Betsch, C. (2023). Kommunikation zu Klimawandel und Gesundheit für spezifische Zielgruppen.
[5] gfs.bern. (2023). Credit Suisse Sorgen Barometer 2023: Sorgen um Kosten.
[6] Brudermann, T. (2023). Die Kunst der Ausrede: Warum wir uns lieber selbst täuschen statt klimafreundlich zu leben. Bundeszentrale für politische Bildung.