62. Plenarsitzung des Weltklimarats: Im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik
Einordnung zum 62. IPCC Plenary Meeting in Hangzhou, China, 24. – 28. Februar
Kürzlich ist die 62. Plenarsitzung des Weltklimarats IPCC zu Ende gegangen. Wichtige Themen der Verhandlungen waren, wann der nächste Sachstandbericht zum Klimawandel publiziert wird und welche Inhalte darin vorkommen sollen. Die Verhandlungen waren von teils entgegengesetzten politischen Interessen geprägt. Sebastian König vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) war dabei und ordnet ein.

IPCC steht für Intergovernmental Panel on Climate Change, zu Deutsch kurz Weltklimarat. Er ist das Gremium der Vereinten Nationen (UN) zur Bewertung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel und besteht aktuell aus 196 Mitgliedsstaaten. Ebendiese Regierungen stehen im engen Austausch mit der Wissenschaft, d.h. mit den Expertinnen und Experten, die als Schreibende der Berichte das Fundament für die Arbeit des IPCC stellen.
Eine der Hauptaufgaben des IPCC ist die regelmässige Bereitstellung von sogenannten Sachstandsberichten (Assessment Reports, AR), die den Stand der Forschung zum Klimawandel aufzeigen und bewerten. Wichtige Entscheide zu Inhalt und Genehmigungszeitpunkt der Berichte werden in regelmässigen Plenarsitzungen von den 196 Mitgliedstaaten gemeinsam gefällt. An den Sitzungen nehmen Vertretungen aus der Wissenschaft und aus den Regierungen teil. Diese Verbindung zwischen Regierungs- und Wissenschaftsakteuren ist ein zentraler Bestandteil des IPCC-Prozesses. Er stellt sicher, dass die Berichte von der internationalen Gemeinschaft getragen werden. Unter anderem deshalb sind die IPCC-Sachstandsberichte so richtungsweisend in der internationalen Klimapolitik. Durch IPCC-Sachstandberichte konnten beispielsweise das 1,5-Grad-Ziel oder das Ziel der Halbierung der Treibhausgas-Emissionen bis 2030 unter der Klimarahmenkonvention UNFCCC etabliert werden.
Jeder AR umfasst drei Hauptteile:
- Naturwissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels, Working Group I (WG I)
- Auswirkungen, Anpassung und Verwundbarkeit, Working Group II (WG II)
- Minderung des Klimawandels, Working Group III (WG III)
Zusätzlich wird ein Synthesebericht erstellt, der die wichtigsten Erkenntnisse der drei Berichte zusammenfasst und bewertet. Ausserdem gibt es während jedem Zyklus verschiedene Sonderberichte, die sich mit besonders aktuellen spezifischen Unterthemen befassen. So sind in den letzten Jahren beispielsweise ein Sonderbericht zur globalen Erwärmung von 1,5 °C und einer zu Ozean und Kryosphäre entstanden. Ausserdem werden Methodikberichte veröffentlicht, welche praktische Richtlinien für die Erstellung von Treibhausgasinventaren liefern.
Der Zyklus zum 7. Sachstandsbericht
Der letzte, 6. Zyklus wurde 2023 mit der Veröffentlichung des Syntheseberichts abgeschlossen. Aktuell befinden wir uns im Zyklus zum 7. Sachstandsbericht.
- Dieser startete im Juli 2023 mit der 59. Plenarsitzung des IPCC in Nairobi. Dort wurde das neue aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestehende IPCC-Bureau gewählt.
- Die darauffolgende 60. Plenarsitzung fand im Januar 2024 in Istanbul statt. Dort wurde entschieden, dass während dem Zyklus ein Sonderbericht zum Thema Klimawandel und Städte veröffentlicht werden soll. Ausserdem wurde ein Methodikbericht zum Thema CO2-Entnahmetechnologien sowie CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung beschlossen. Zusätzlich wurde der Entscheid für einen Methodikbericht zu kurzlebigen, klimawirksamen Substanzen gefällt.
- Die 61. Plenarsitzung, fand im August 2024 in Sofia, statt. Dort wurden die Gliederung der Inhalte und der Zeitplan der drei Beiträge (WG I, II & III) zum Hauptbericht verhandelt (ProClim hat berichtet). Die Mitgliedstaaten konnten sich jedoch nicht auf einen endgültigen Zeitplan für die Publikation der drei Beiträge einigen und die Entscheidung wurde auf die Plenarsitzung vom Februar 2025 verschoben.
- Im Dezember 2024 fand dann ein sogenanntes Scoping Meeting in Kuala Lumpur statt (ProClim hat berichtet). An Scoping Meetings nehmen jeweils nur von den Ländern nominierte und vom IPCC-Bureau ausgewählte Vertretende aus der Wissenschaft teil und erarbeiten Vorschläge, über die dann an den Plenarsitzungen in Anwesenheit der Regierungsdelegationen diskutiert und entschieden wird (siehe Grafik unten: «Scoping»).
- Die Beratungen zu den inhaltlichen Leitlinien und dem Zeitplan für die drei WG-Hauptberichte wurden nun an der 62. Plenarsitzung in Hangzhou, China, weitergeführt (siehe Grafik unten: «Approval of Outline»).
Schlüsseltreffen des Weltklimarats
Der Entscheid rund um den Zeitplan zum 7. Sachstandbericht war ein kontroverses Thema an der 62. Plenarsitzung Ende Februar, in Hangzhou. Denn es sollte entschieden werden, wann die drei Berichte genehmigt und veröffentlicht werden. Insbesondere bei der Frage, ob der Bericht zur Minderung des Klimawandels (WG III) vor oder nach der zweiten Global Stocktake (GST-2) in 2028 veröffentlicht werden soll, rechtzeitig für die 33. UNO-Klimakonferenz (COP33) in Indien, lagen die politischen Interessen auseinander.
Was ist ein Global Stocktake? Die globale Bestandsaufnahme (Global Stocktake) ist eine Art Inventur. Sie bedeutet, dass alles, was mit dem aktuellen Stand der weltweiten Klimamassnahmen und -unterstützung zu tun hat, untersucht wird, die Lücken ermittelt werden und gemeinsam ein besserer Kurs für die Beschleunigung der Klimamassnahmen festgelegt wird.
Die Bestandsaufnahme findet alle fünf Jahre statt, wobei die erste Bestandsaufnahme (GST-1) im Jahr 2023 auf der 28. UNO-Klimakonferenz (COP28) abgeschlossen wurde. Sie legte die Grundlage die nächste Runde von Klimaaktionsplänen im Rahmen des Pariser Abkommens (Nationale festgelegte Beiträge oder "NDCs"), die bis zum 10. Februar 2025 von allen Mitgliedsstaaten des Pariser Übereinkommen eingereicht hätten werden sollen.
Die nächste Global Stocktake (GST-2) steht 2028 an und wird die nächste Runde von NDCs (für 2035-2040) beeinflussen, die 2030 eingereicht werden müssen.
Ob die Resultate aus dem vorangehenden AR6 oder die neuen Erkenntnisse aus dem AR7 als Grundlage für die GST-2 genommen werden, kann dessen Ausgangslage und Einschätzung massgeblich beeinflussen. Die GST-2 wiederum wird die Ambition der NDCs der Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommen für den Zeitraum 2035–2040, sowie die Planung der NDCs 2035 (für 2040-45) bestimmen. Dieser Zeitraum von 2035 bis 2045 wird von der Wissenschaft als entscheidend für die Erreichung des Pariser Klimaziel angesehen.
Für ambitionierte Staaten ist die Veröffentlichung des AR7-Berichts vor der GST-2 eine wichtige Verhandlungsgrundlage, um alle Unterzeichnerstaaten der Pariser Klimaabkommen zu ambitionierten NDCs zu motivieren. Umgekehrt sind Länder, die weniger ambitionierte Klimaziele verfolgen oder deren Treibhausgas-Ausstoss in der jüngeren Vergangenheit stark angestiegen ist, weniger an einer Publikation vor der GST-2 interessiert. Wie sind die Verhandlungen in dieser politisch angespannten Plenarsitzung des IPCC verlaufen? Dazu haben wir Sebastian König ein paar Fragen gestellt.
Kislig: Sebastian König, Sie haben am 62. IPCC Plenary Meeting (Plenarsitzung) teilgenommen. In welcher Rolle waren Sie dort und mit welchen Zielen oder Absichten sind Sie nach Hangzhou gereist?
König: Die Schweizer Delegation ist mit drei zentralen Zielen nach Hangzhou gereist: Erstens sollen wissenschaftlich ambitionierte, inhaltliche Leitlinien für alle drei Arbeitsgruppenberichte verabschiedet werden. Zweitens sollte ein Zeitplan für die Publikation der Berichte verabschiedet werden, der sich an den internationalen Klimaverhandlungen orientiert, insbesondere dem GST-2. Und drittens haben wir uns für die Verabschiedung des methodologischen Berichts zur CO2-Entnahme und -Speicherung (Carbon Dioxide Removal, CDR) eingesetzt. Es soll klare Standards für Länder geben, wie sie über die Anwendung dieser Technologien berichterstatten können.
Ki: Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?
Kö: Die 62. IPCC-Sitzung war aus Sicht der Schweiz nur ein Teilerfolg. Wir begrüssen, dass die inhaltlichen Leitfäden für alle drei Berichte definiert werden konnten. Sie beinhalten Themen, die als Fortschritt und Erweiterung des Assessments gesehen werden können, wie die Erwähnung von Kipppunkten des Klimas, zukunftsgerichtete Szenarien bei einer Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze, oder der besondere Schutzbedarf von Bergregionen. Da ist die Schweiz als Alpenland besonders betroffen.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Diskussion zu Solar Radiation Management (SRM, mehr dazu im ProClim-Faktenblatt). Die Schweiz hat sich dafür eingesetzt, dass der Fokus auf die Bewertung von Risiken und ethischen Aspekten dieser Technologien gelegt wird, ohne sie als Lösung gegen den Klimawandel darzustellen. Dieses Ziel wurde erreicht.
Ki: Wo hätte sich die Schweiz mehr erhofft?
Kö: Verschiedene wichtige Themen haben es nicht in die Leitfäden geschafft. So werden unter anderem die Rolle von fossilen Energien bei der Klimaerwärmung, Grenzen der Anpassung und kontraproduktive Anpassungsmassnahmen (sog. Maladaption) den Klimawandel oder die Kosten des Nichthandelns thematisch nicht oder aus unserer Sicht zu wenig erwähnt.
In den Verhandlungen wurden zudem einige Versuche unternommen, zentrale wissenschaftliche Konzepte aus den Leitfäden zu entfernen. Dagegen hat sich die Schweiz zusammen mit gleichgesinnten Ländern gewehrt. Solche Versuche schwächen das Gewicht der globalen Klimawissenschaft. Besonders bedauerlich ist, dass die Klimaziele der Länder (NDCs) unter dem Pariser Abkommen und die Rolle fossiler Brennstoffe nicht im thematischen Leitfaden zum AR7 berücksichtigt werden. Die jetzt ausgehandelten Begriffe sind zwar für die Autorinnen und Autoren nicht direkt verbindlich. Sie lassen aber darauf schliessen, dass die weiteren Verhandlungen – vor allem in der Schlussrunde – politisch geprägt sein werden.
Ki: Die Staaten konnten sich nicht auf einen Zeitplan einigen, der mit den Klimaverhandlungen zusammenfällt. Woran ist man gescheitert?
Kö: Hier haben vor allem grosse Schwellenländer blockiert. Deren wachsender Anteil an den weltweiten Treibhausgas-Emissionen wird im kommenden Sachstandsbericht ebenfalls eine Rolle spielen.
Nebst der Schweiz sind insbesondere kleine Inselstaaten und die am Wenigsten entwickelten Länder an einem ambitionierten Zeitplan interessiert. Diese sind besonders vom Klimawandel betroffenen. Sie mussten aber pünktlich zum offiziellen Ende der Sitzung hin abreisen und konnten an den Verhandlungen nicht mehr teilnehmen. Die Inklusivität war so in den letzten Stunden der Verhandlung nicht mehr gegeben. Das hat unsere Position in der Schlussabstimmung geschwächt.
Nach 39 Stunden non-stop Verhandlungen konnte die Schweiz mit weiteren Ländern das Worst-Case-Szenario verhindern, nämlich, dass gar keine Entscheide gefällt werden. Am Ende haben sich die Staaten auf das Minimalziel geeinigt: Die Arbeiten werden für den Rest dieses Jahres fortgeführt. Über den Zeitplan und die kommenden Meilensteine wird diesen Herbst an der 63. IPCC-Sitzung weiterverhandelt.
Ki: Des Weiteren wurden am Plenary Meeting auch die Vorschläge der Wissenschaftscommunity zu Inhalt und Zeitplan des Methodological Report (MR) über Carbon Dioxide Removal (CDR) und Carbon Capture, Use and Storage (CCUS) diskutiert. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt? Und welche Entscheide wurden schliesslich gefällt?
Kö: Die Diskussionen zu CDR und CCUS waren intensiv, aber konstruktiv. Leider konnte keine Einigung über die inhaltliche Ausrichtung des Berichts erzielt werden, insbesondere bei Technologien zur Entfernung von CO₂ aus Gewässern. Gleichzeitig ist es positiv, dass keine Technologien in den Bericht Eingang finden werden, deren Wirksamkeit noch nicht nachgewiesen ist. Denn das würde einer Legitimierung jener Technologien gleichkommen.
Ki: Was bedeuten diese Entscheide konkret für den weiteren Fahrplan und für die internationale und nationale Klimapolitik?
Kö: Die politischen Diskussionen über den Zeitplan der AR7-Hauptberichte sind noch nicht abgeschlossen und müssen in der kommenden Plenarsitzung diesen Herbst wieder aufgenommen werden. Aus Sicht der Schweiz ist es essenziell, dass alle drei Berichte im Jahr 2028 rechtzeitig für den zweiten Global Stocktake anlässlich der COP33 verabschiedet werden können.
Auf nationaler Ebene bedeuten die Entscheide, dass sich unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun aktiv in den IPCC-Prozess einbringen können. Wir konnten im Rahmen der IPCC-Berichte bereits Themenbereiche verankern, die auch Forschungsschwerpunkte in der Schweiz sind. Die inhaltliche Breite der drei Berichte und die Verknüpfungen zwischen den Arbeitsgruppen bieten einer vielfältigen Forschungsgemeinschaft in der Schweiz die Möglichkeit, mitzuwirken. Der Aufruf Autorinnen und Autoren für die Berichte zu nominieren, wird in diesen Tagen über die IPCC-Plattform Schweiz lanciert.
Ki: Vielen Dank, Sebastian König, für die spannende Einordnung der Verhandlungen in Hangzhou.
IPCC & ProClim
Im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (BAFU) fördert ProClim die Teilnahme von Forschenden aus der Schweiz am IPCC. Es betreibt die IPCC-Plattform Schweiz, auf welcher auch alle entsprechenden Informationen und Calls lanciert werden.
Downloads/Links
- SIXTY-SECOND SESSION OF THE IPCC: Decisions adopted by the Panel
- Decision on the outlines of the Working Group contributions to the Seventh Assessment Report (AR7)
- IPCC: Call for experts (data specialists) to serve in the IPCC Task Group on Data support for Climate Change Asssesments (TG-Data)
- IPCC: Call for authors and review editors for all Working Groups of the 7th Assessment Report (AR7)

Kontakte
Sol Kislig
SCNAT
ProClim − Forum für Klima und globalen Wandel (ProClim)
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